Weiches Herz

Wohlige Atmosphäre

„Möchtest du Tee“ fragt mich der Friseur meines Vertrauens. „Sehr gerne, ohne Zucker“ entgegne ich ihm. Er lächelt, ich lächle zurück. Kurze Zeit lässt er mich mit seiner türkischen Musik alleine. In diesem urigen kleinen Laden aus einer anderen Zeit. Mit meinem roten Umhang und den eingestrichenen Haaren. Es ist bereits mein dritter Besuch und ich fühle mich einfach wohl in seinem Salon. Maniküre, Pediküre, er kann alles! Der Friseur, dessen Namen ich leider nicht kenne, versprüht eine freundliche ausgeglichene Art, die ansteckt. Meine Gedanken schweifen, fliegen über die letzten Tage hinweg. Meine Atmung ist flach, viel flacher und gelöster.

Das Hamsterrad von außen

Als ich im Hotel angekommen bin, wollte ich mit keinem reden. Einfach meine Ruhe haben und Abstand gewinnen. Die letzten Wochen waren schwierig für mich. Wenn du einen Weg gehst, bei dem du längst weißt, dass er zu Ende gegangen ist – Du aber darauf bleibst, aus Angst andere zu gehen.

Die Türkei ist der Rahmen, sich über andere Wege und Straßen Gedanken zu machen. Ein Urlaub, um Klarheit zu gewinnen. Ein Urlaub, um Entscheidungen zu treffen, die ich erfolgreich vor mir hergeschoben habe.

Ein „Hamster“, den man kurzzeitig aus seinem Rad setzt und die Chance hat, alles von außen zu betrachten. Eine Zweite bekomme ich nicht!

Wann sind Menschen eigentlich glücklich?

Mittlerweile sitze ich vor meinem türkischen Tee und warte, bis die Temperatur auf Trinkniveau gesunken ist. Alleine der Geruch ist schon göttlich! Meine Haare wirken weiter ein, während „der Friseur“ einer weiteren Dame Wünsche erfüllt. Bei Öffnungszeiten von 8:30 – 21:00 Uhr frage ich mich, wann er eigentlich isst, schläft, Freizeitaktivitäten nachgeht, seiner Familie Zeit schenkt. Ein Wochenende gibt es hier nicht und eine Vertretung scheint er nicht zu haben. Trotzdem sieht er täglich glückselig aus. Obwohl ihm das Wichtigste fehlt: Zeit. Bei den Kellnern, Rezeptionisten, Verkäufern sehen die Arbeitszeiten kaum besser aus. Allen gemeinsam ist dieser zufriedene Ausdruck im Gesicht.

Ohne Arbeit, kein Geld.

Ich kenne das Sozialsystem in der Türkei nicht, befürchte aber, dass es nicht das Beste ist. Fatma, meine Masseurin, meinte in ihrem bruchstückhaften Deutsch: „Wenn nicht arbeiten, dann kein Geld“. Trotzdem strahlt sie eine Wärme aus, die ich von den meisten Deutschen nicht kenne. Sie wirkt zufrieden, nicht abgeschlagen. Nicht leer, sondern voller Liebe. Ich bewundere Fatma, den Friseur und alle Angestellten. Woher nehmen sie die Kraft? Sind wir zu verwöhnt? Geht es bei uns um mehr als ums Überleben? Um Selbstverwirklichung? Macht es das vielleicht so schwierig, weil wir vor schier unendlich vielen Möglichkeiten stehen? Was fangen wir nur mit unserem Leben an?

Unbewusste Fülle

Wenn ich über eine Weltreise nachdenke, ist das ein großer Schatz, den so wenige Menschen öffnen können. Das wird mir hier von Tag zu Tag klarer. Ich lebe in einer großen Fülle, derer ich mir nicht bewusst bin. Ich habe alles. Liebende Menschen, Familie, Gesundheit, Wohnung, Geld, ein Sozialsystem, das mich im Fall der Fälle auffängt. Wieso strotze ich nicht vor Glück? Wovor habe ich eigentlich Angst? Mir wird bewusst, dass es nun an der Zeit ist, mehr meinem Herzen als meinem Verstand zu folgen.

Was verbindet Fatma und den Friseur?

Soweit ich das beurteilen kann, verbindet die beiden die Leidenschaft zu dem, was sie tun. Sonst würden sie die 12 Stunden Schichten wohl kaum mit einem Lächeln auf den Lippen aushalten. Fatma ist die beste Masseurin, die ich kenne und „der Friseur“ macht seine Sache auch sehr gut. Es mag mich vielleicht auch täuschen, aber ich denke, sie lieben, was sie tun. Im Grunde sind es zwei „Menschen-Glücklich-Macher“. Die eine heilt, der andere hübscht auf. Beide folgen ihrem Herzen.

Bin ich verwöhnt?

Ganz bestimmt! Der Mensch ist ein adaptives Wesen. Er gewöhnt sich an einen gewissen Standard und hält diesen dann für normal. 21 Tage Urlaub? Ganz normal. Pool in der Nähe? Ganz normal. Den ganzen Tag Essen und Cocktails? Ganz normal. Das ist auch der Grund, wieso ich niemandem ein großes Auto empfehlen würde – du gewöhnst dich an den Standard und tust dich so schwer, wieder tiefer ins Regal zu greifen! Der wahre Glücklichmacher liegt aus meiner Sicht im Verzicht. Auf etwas zu verzichten, formt den Charakter. Hält uns auf einem niedrigen Level, bei dem wir nur positiv überrascht werden können! Ich denke das einfache Leben, das mit viel Liebe und Werten wie Demut erfüllt ist, macht uns dauerhaft am glücklichsten.

Sich selbst zurücknehmen

und anderen etwas geben: Aufmerksamkeit, Liebe, Zuneigung, Interesse. Das sollten wir uns wieder auf die Fahnen schreiben. Kennt jemand zufällig die Sendung „Ab ins Kloster“? Trash-TV, der doch viel Wahres beinhaltet. Narzisstische, operierte Püppchen begeben sich in ein einfaches Leben, und müssen lernen zu verzichten. Keine Schminke, keine fancy Klamotten. Die Ergebnisse nach der Woche im Kloster sprechen für sich 😉

Das schwarze Kätzchen

Straßenmiezis und Hunde gibt es hier in der Türkei leider viel zu viele. Sie vermehren sich munter weiter. Als wir eines abends aufs Zimmer gehen wollen, kommt eine kleine schwarze Katze ums Eck. Sie ist maximal ein paar Monate alt. Mit dem bekannten „Ich-wedel-mit-einem-großen-Grashalm“-Trick locke ich sie von der Liege hervor. Wir spielen eine ganze Weile. Das Kätzchen genießt die Aufmerksamkeit. Als wir dann letztenendes doch gehen müssen, zerreist es mir das Herz. Sie hat kein Zuhause. Keinen, der auf sie aufpasst und ist doch noch so klein. Mir sind die Hände gebunden und ich kann nichts weiter tun, als sie zurückzulassen. Tränen laufen über mein Gesicht.

Fatma, das Kätzchen, Bettler am Straßenrand – mein Herz ist so weich in diesen Tagen. So weich, dass ich mein eigenes Leben wieder mehr schätzen kann. Die Fülle wieder spüren kann. Da ist kein Mangel, nur Mitgefühl und Dankbarkeit.

Danke fürs Lesen,

Eure Nicole

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