Der „Trödeltrupp“ entrümpelt an diesem Dienstagmorgen ein Messiehaus, während ich versuche die Fernbedienung in die Hand zu nehmen und mich gegen die passive Berieselung des TVs zu entscheiden. „Das sind die wirklich schlimmen Dinge“ denke ich mir, während containerweise Müll und Dreck aus dem Haus gebracht werden. Kopfschütteln. Entsetzen. Wie konnte es nur soweit kommen. Abgelenkt von meinen eigenen Problemen beschäftige ich mich damit, wie man eigentlich zum Messie wird und was dahinter steckt. Komme von Schizophrenie über die Borderline Störung und sonstige Psychosen. Dann wieder diese schlimmen Bilder von schimmligen Wänden, sackweise Müllbeutel und Menschen, die mit angewiedertem Gesicht das Haus entrümpeln. In der nächsten Werbepause schaffe ich es, den roten Knopf zu betätigen, meine Gedanken abzuwenden und mich dem im Moment unbequemen Part zu widmen.
Meinem Leben.
Schwere Zeiten
Obwohl die Sonne scheint, ist es ein trister Tag. Nicht nur draußen wird es dunkler. Ich verliere an Licht. Verliere an Mut. Glanz. Verliere den Glauben an das Gute. Konzentriere mich auf die alltäglichen Dinge, die mir bereits schwer fallen. Duschen. Essen. Maske aufsetzen. Rechtfertigen. Rausgehen und lächeln. Weil die Welt ein Lächeln braucht. Tränen sind selten wirklich geduldet.
Spazieren gehen war meine große Leidenschaft. Ich liebe Bewegung aller Art. Heute fühlt sich jeder Schritt wie eine halbe Ewigkeit an. Bleischwer gehe ich den langen Stadtpark entlang. Dennoch gehe ich den ganzen Weg, weil ich nie aufgebe. Gehe, um zu vergessen. Gehe, um nicht stehen zu bleiben. Gehe, weil das Leben immer in Bewegung bleibt. Immer weiter. Immer einen Schritt voraus. Nach langen 60 Minuten lande ich erschöpft auf der Couch. Habe durchgehalten. Das ist alles was zählt. Durchhalten. Im Kampf mit mir selbst und anderen. Im Halbschlaf klammere ich mich an die Sofadecke. Als würde sie mir Halt geben. Als könne ich mich vor dem Leben verstecken und sie mich retten. Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass es nun Zeit ist, sich erneut aufzuraffen und sich zu verabschieden.
„Es ist Zeit zu gehen.“
„3, 2, 1 – setzt euch“. Mit nassen Augen sitze ich auf einem Indoor Cycling-Bike. Links von mir Tränen, rechts von mir Tränen. Alle sind betroffen. Gedimmtes Licht und eine gut gewählte Song-Auswahl passen zu den letzten Stunden von Erwin und Gabi. „Es ist Zeit zu gehen“ von Unheilig trällert aus dem Lautsprecher. Es ist ihr allerletztes Lied. Seit über 30 Jahren im Fitnessstudio California haben sie sich schweren Herzens kurzfristig dazu entschieden, an dieser Stelle aufzuhören. Ich spüre die gedrückte Stimmung im Raum, die nicht besser zu meinem Innenleben hätte passen können. Die Stimmung, die eben jedes Ende mit sich bringt.
Der Kampf geht weiter.
Während der beiden Cycling-Stunden merke ich, wie auch ich immer mehr auf ein Ende zusteuere. Das Ende meiner Sparkassen-Zeit. Geredet wird immer genug. „Schon wieder krank. Wie konnte sie nur. Was für eine … (beliebiges Schimpfwort einsetzbar)“. Ich möchte euch heute unverblühmt mitteilen, dass es mir (entschuldigt bitte den Ausdruck) beschissen geht und mir die Entscheidung nicht leicht fällt. Vermutlich ist sie eine der schwersten und folgereichsten meines Lebens. Die ganze Situation der letzten Monate kann ich euch leider nicht erzählen. Es war ein langer Prozess. Und ich war immer Sparkassler mit Leib und Seele! Von Schuld will ich nicht sprechen, weil ich nur meine eigenen Anteile bearbeiten kann. Mich kann ich ändern. Niemand anderen.
Die raue See
Zunächst muss ich verdauen, weiter für mich kämpfen und gesundheitlich wieder auf die noch wackeligen Beine kommen. Die See ist noch immer rau und der Sturm lange nicht überstanden. Ich werde versuchen in dieser Zeit meinen Blog mit meinen Gedanken zu füllen und meine Gesundheit und Lebensfreude zurückzugewinnen. Euch daran teilhaben zu lassen gibt mir Kraft und ein Fünkchen Zuversicht. Die Themen werden vielfältig sein, weil ich es auch Leid bin zu trauern und nur über das Schlechte nachzudenken. Es muss weitergehen. Ich klammere an meinem Boot wie ein stolzer Kapitän, der erst zum Schluss von Bord geht.
Verkaufst du dein Leben?
Ich habe mich lange gefragt, ob mein Puzzle-Stück zurecht gebogen werden kann, damit es endlich passt. Aber sich zu verbiegen ist in den seltensten Fällen eine gute Idee geschweige denn eine Lösung. Im Gegenteil: Es kostet täglich Kraft. Es macht mehr und mehr mürbe, wenn man dem Anspruch nie gerecht werden kann. Ein Stück des Puzzle-Stücks wird immer herausstehen, egal wie sehr man sich bemüht, weil es eben nicht passt. Masken tragen wir schon genug und diese besonders lange. Habe ich mein Leben verkauft?
Die Wellen peitschen mir ins Gesicht, während ich darüber nachdenke.
18.000 Tage
Liebst du das, was du tust? Oder verkaufst du nur deine Lebenszeit für einen spottbilligen Preis? Wenn ich mich guter Gesundheit erfreue, werde ich im Schnitt noch etwa 18.000 Tage auf dieser Erde verbringen. Mein Leben hat ein Ende. Deines auch. Unser aller Leben. Egal ob Manager oder Putzfrau – Was von uns übrig bleibt ist eine Gedenkstätte im besten Fall mit ein paar Knochen oder etwas Asche. Wir sind gekommen, um zu gehen. Jeder, der von Ewigkeit ausgeht und so seine Tage gestaltet, alles auf die Rente und später schiebt, ist ein Narr. Was bringt dir Ruhm, Ansehen und gesellschaftliche Akzeptanz, wenn du die Nebenrolle in deinem eigenen Leben spielst?
Der Leistungsgedanke ist ganz tief in uns verankert und kaum ablösbar. Bereits in der Schule lernen wir, dass wir toll sind, wenn wir gute Noten mit nach Hause bringen. Und so geht es auch nach der Schule weiter. Du bist gut, wenn du eine hohe Position in einem Unternehmen besetzt. Oder ein schickes Auto (abbezahlt oder nicht) besitzt. Ein neues Haus -> oh der ist aber gut! Der hats geschafft! Aber bist du nicht eigentlich gut, weil du warmherzig bist? Weil du mit Menschen mitfühlst? Weil du der Welt etwas zurückgibst? Weil du authentisch und echt bist? Weil du andere respektierst und gut mit ihnen umgehst?
All das hat in unserer Gesellschaft einen untergeordneten Wert. Wenn ich abends „Das perfekte Dinner“ einschalte, steht da der Name des Kochs z. B. Dirk und sein Beruf darunter Malermeister. Darüber definiert sich Dirk, der Malermeister und so viele andere auch. Da könnte auch stehen – Dirk, engagiert sich ehrenamtlich für Bienen – oder ähnliches. Tut es aber nicht. Der Beruf und damit seine Stellung wird höher angesetzt als sein Bienen-Engagement, also Werte.
Was ich dir damit sagen will: Nutze deine Zeit und liebe mit jeder Faser deines Körpers. Gebe, wenn du geben kannst. Schenke ein Lächeln, wenn du lächeln kannst. Erfülle dir Träume, solange du noch kannst. Sei echt, wenn du es sein darfst. Begegne den Dingen mit Demut. Definiere dich nicht über deinen Job oder dein Hab und Gut sondern über deine Werte.
Mehr Zeit bekommst du nicht. Eine zweite Chance ebenfalls nicht.
Auch ich nicht. Meine Gesundheit gibt mir keiner zurück. Deshalb entscheide ich mich für mich. Für das Leben und all die Wellen, die es so mit sich bringt. Egal wie hoch, egal wie stürmisch. Egal, was auf See noch so kommt.
„Es ist Zeit zu gehen, ich danke euch für all die Jahre“ … (vor allem denen, die immer hinter mir standen und an mich geglaubt haben – DANKE)
Eure Nicole