Seelen-Hunger

Was, wenn deine Seele nach Essen schreit?

Oma sieht mich mit großen Augen an. Lange bleibt ihr Blick auf mir hängen, bis sie schließlich mit der Sprache herausrückt und sagt: „Mädl, bist du stärker geworden?“

Das saß! Etwas hastig entgegne ich, dass es nur 2 – 3 harmlose Kilos wären. Das würde ich schon wieder in den Griff bekommen. Beschämt sitze ich im Auto zurück nach Hause und weiß, dass sie damit Recht hat. Ich bin innerhalb kürzester Zeit „flauschiger“ geworden, wie es Patric Heizmann liebevoll betiteln würde.

In den Tagen darauf nehme ich allen Mut zusammen und tausche die Batterien meiner Waage. Und da steht sie die Zahl, die das Höchstgewicht meines bisherigen Lebens zeigt. Wie konnte das nur passieren. Nach den letzten „Schock“-Wochen plus der Angst vor meinem Briefkasten habe ich all meine Energie-Reserven zusammen genommen und bin zu einem Dauergast im Fitnessstudio geworden. Cycling-Kurse waren mein neuer Alltag und gaben mir den Halt, den ich von der Arbeit nicht mehr bekam.

Es gab wöchentlich meinen „gesunden Kuchen“, der zu Großteilen aus Blaubeeren, Haferflocken, Magerquark und Eiern bestand. Gemüse fand man auf jedem meiner Teller. Und trotzdem wiege ich so viel wie noch nie zuvor. Wie kann das sein? Ich begebe mich auf die Suche, um den Fehler im System zu finden.

Ich stelle mehrere Thesen auf:

These 1) „Zu viel Cardio macht dick“: Ich konnte diese Aussage selbst kaum glauben. Nach meiner Google-Recherche bin ich auf diese gestoßen. Cardio könnte also sogar kontraproduktiv für den Gewichtsverlust sein. Bis dato dachte ich: Wer eine negative tägliche Kalorien-Bilanz aufweist, nimmt ab. So habe ich es abermals gehört. Wer es aber mit dem Cardio-Sport übertreiben würde, baut Muskeln ab und würde den Körper damit unter Stress setzen. Dieser lagert dann munter ein, weil er Angst vor schlechten Zeiten hat. Eine weitere Vermutung: Nach dem Cardio Training habe ich ungemein Hunger und esse dann vermutlich mehr, als wenn ich keinen Sport gemacht hätte. Das „Mehr“ an Kalorien könnte die Zahl der Verbrannten übersteigen. Ob ich wirklich so viel Cardio mache, dass diese Thesen zutreffen? Das werde ich durch einen Selbsttest herausfinden. Cardio wird in den nächsten Wochen deutlich reduziert und Kraftsport erhöht.

These 2) „Fehlender Kraftsport„: Wie eben beschrieben, könnte Muskulatur durch den exzessiven Cardio-Sport abgebaut worden sein. Ganz alleine auf der Trainings-Fläche zu trainieren ging eine ganze Zeit nicht mehr. Die Cycling-Kurse hatten mich viel stärker motiviert. Sich zu verabreden schaffte Verbindlichkeit und Spaß in der Gemeinschaft noch dazu. Das hielt mich oben. Aber wenn das Ergebnis eine Gewichtszunahme ist? Mittlerweile geht es mir etwas besser und ich schaffe es, selbst zu trainieren. Also versuche ich meine Muskeln zu reaktivieren. Denn Muskeln sind die reinsten Kalorienfresser, auch wenn man mal nichts tut und faul auf der Couch liegt.

These 3) Fehlende Alltagsbewegung„: Seit ein paar Wochen bin ich jetzt krankheitsbedingt Zuhause. Auch wenn trotzdem genug zu erledigen, zu klären und zu planen ist, gleicht es nicht einer normalen Alltags-Belastung. Ich bleibe länger liegen, lasse alles ruhiger angehen und setze alles auf die Karte „Genesung“. Die Bewegung im Alltag macht aber deutlich mehr aus als das Training im Studio – das alleine reicht also nicht! Mein Vorsatz: Mehr rausgehen trotz des bescheidenen Wetters.

These 4) Essen um zu betäuben„: Die letzten Wochen waren eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Nie wusste ich, was als nächstes auf mich zukommt. Wo meine Rechte und Pflichten liegen. Was Recht und was Unrecht ist. Wer mich beobachtet. Wer Freund und wer Feind ist. Eine neue Zeit des Umbruchs und der Unsicherheit. Manchmal fühlte ich mich befreit, dann wieder kamen heftige Zukunftsängste und Träume, um das abzuschließen, was ich nicht mehr abschließen kann. Ganz unbewusst habe ich über meinen körperlichen Hunger hinaus gegessen. Essen kann Gefühle betäuben, die wir nicht mehr aushalten (wollen). Im 3-Stunden Rhytmus habe ich gegessen, weil mein Kopf mir den Impuls dazu gegeben hat. Essen schaffte Ablenkung, Trost und gute Gefühle. Essen war mein Freund, der mich durch turbulente Zeiten getragen hat.

These 5) „Einsamkeit, Langeweile, Seelen-Stress“: Plötzlich war Zeit da. So viel wie noch nie. So mancher stellt sich das wie ein Paradies vor. Aber es gleicht einer neuen Herausforderung. Hast du keine Verpflichtungen, driftest du schnell ab in einen Zustand der Lethargie. Du baust leistungsmäßig ab und alles wird immer schwerer und schwerer. Zu allem musst du dich aufraffen, obwohl du keinerlei Energie und Elan hast. Treibsand. Um hier nicht komplett zu versinken, bedarf es viel Willenskraft und Disziplin. Um den Energie-Mangel auszugleichen, bietet sich zuckerhaltige Nahrung als leichte Lösung an. Ein Kreislauf, den man kaum noch durchbrechen kann. Je energieloser, desto schwerer fällt es Freundschaften zu pflegen. Du wirst einsamer, stopfst die Löcher. Und das noch nicht mal zwingend mit Süßigkeiten, aber bei fast ständiger Nahrungsaufnahme setzen selbst Karotten irgendwann an.

These 6) „Früchte machen hungrig“: Selbst mein „gesunder Kuchen“ hatte zur Folge, dass ich immer und ständig Hunger hatte. „Sind doch nur gute Sachen drin“ dachte ich mir. Wieso wurde ich trotz der Haferflocken nicht wirklich satt? Ich stellte die These auf, dass die enthaltenen Blaubeeren (nicht wenige) meinen Insulinspiegel auf eine Achterbahnfahrt geschickt hatten. Also auch etwas Vorsicht bei Früchten! Diese sind zwar gesund und versorgen dich mit wichtigen Vitaminen, aber ein zu viel an Früchten kann dich ganz schön hungrig machen.

These 7) „Zu wenig Flüssigkeit“: Jeder weiß, dass genug Wasserzufuhr extrem wichtig für unseren Körper ist. Nur so können alle Mechanismen reibungslos funktionieren. In der Arbeit stand täglich eine 1,5 Liter Flasche neben mir, die oft am frühen Nachmittag bereits leer war. Zuhause hatte ich den Überblick verloren. Ich denke dass ich an manchen Tagen keinen Liter getrunken hatte. Um das wieder zu ändern, beschrifte ich meine Flaschen jetzt mit einem kleinen „N“, um zu sehen, was ich wirklich trinke und ob das ausreicht.

These 8) „Ein All-Inklu Urlaub ist nicht zum abnehmen da“: In diesem Jahr waren wir insgesamt 5 Wochen im Urlaub. Immer All-Inklu! Essen gab es zu jeder Tageszeit in allen Variationen in Hülle und Fülle. Mal Spanisch, mal Türkisch. Immer mit Nachspeißen. Dazu gesellten sich Cocktails, Bier und Eisschokolade. Wir haben versucht, mit viel Gemüse, Sport und eigens gesteckten Grenzen das schlimmste auf der Waage zu verhindern. Aber es waren am Ende doch immer ein paar 100 Gramm mehr auf den Hüften, die auch nach dem Urlaub nicht mehr verschwanden.

Habe ich verlernt, wie sich „echter“ Hunger anfühlt?

Unterscheidung: Seelen-Hunger / Körperlicher Hunger

Mein größtes Problem in der Sache „Gewicht“ ist, dass ich nicht mehr spüre, ob mein Körper oder mein Kopf Hunger hat. Wie kann man das unterscheiden? Wer hat hier Hunger? Schließe deine Augen und frage dich, wo das Gefühl von Hunger gerade herkommt. Aus der Magen-Gegend oder doch aus deinem Kopf? Du wirst bald wissen, was ich meine. Wenn dein Kopf „Hunger“ hat, versuche künftig, diesen anders zu stillen als mit Essen. Vielleicht hilft ein Spaziergang an der frischen Luft oder ein paar Dehnübungen. Das verlangt Disziplin …

Der „Seelen-Hunger“ ist ein weit verbreitetes Phänomen.

Die wenigsten Menschen essen des körperlichen Hungers wegen. Es gibt zahlreiche andere Gründe für die Nahrungsaufnahme. Z. B. das Essen in Gesellschaft oder emotionales Essen. Dann wären da noch Gelüste und verknüpfte positive sowie negative Erinnerungen aus der Kindheit. „Du musst den Teller aufessen“ hat dem ein oder anderen eine bleibende Abneigung gegen Gemüse beschert. Am meisten beeinflussen uns aber Gewohnheiten. Isst du auch jeden Tag zu bestimmten Zeiten? Hast du wirklich Hunger oder isst du, weil es zu dieser Zeit gewohnt bist? Kochst du immer ähnliches, weil du die Rezepte kennst und es dir leicht fällt, diese zuzubereiten? Kaufst du im Supermarkt vielleicht ähnliche Lebensmittel, wie du es aus deinem Elternhaus gewohnt warst? Gewohnheiten zu ändern ist ein langer, oft schwieriger Weg. Wieso? Weil es uns Energie kostet, neues auszuprobieren und die gewohnten Trampelpfade zu verlassen. Unser Körper will möglichst viel Energie sparen. Dennoch solltest du deine Gewohnheiten hinterfragen. Esse nicht, weil es 12.00 Uhr schlägt, sondern erst, wenn dein Magen wirklich „Hunger“ ausruft.

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Wenn du auch mit deinem eigenen „Seelen-Hunger“ kämpfst: Lasst uns wieder lernen zu spüren, was unser Körper wirklich braucht. Ist es Essen? Ist es Stress-Abbau? Ist es Beschäftigung? Ist es Gesellschaft? Ist es Bewegung? Ist es Rückmeldung von außen? Oder ist es wirklich körperlicher Hunger? Ein kleiner Trick: Hast du gerade keine Lust eine Gurke zu essen, ist es kein körperlicher Hunger sondern vermutlich ein Impuls deines Kopfes. Möchtest du trotzdem essen? Dann liegt es vermutlich am Seelen-Hunger.

Phasen des Umbruchs

Ganz offensichtlich hat und hatte meine Seele Hunger. Hunger, der mit Essen niemals zu stillen ist. Es ist meine Aufgabe und meine Verantwortung, diesen auf eine andere Weise zu befriedigen. Seelen-Hunger entsteht vor allem in Krisen-Zeiten unseres Lebens. Wenn ein Bereich nicht ganz rund läuft, ganz gleich ob Beruf, Partnerschaft, Freundschaft, Familie oder Finanzen. So ist es bei mir im Moment die berufliche Ebene gepaart mit einer großen Portion Umbruch, die wackelt und mir Ängste und Leere beschert. Mir fehlt die Aufgabe, eine Rückmeldung, fühle mich schlecht und unproduktiv. Ich habe meinen Beruf sehr lange geliebt. Auch Phasen des Umbruchs gilt es auszuhalten, so spielt das Leben eben. Es sind die Regeln, mit denen wir auf diese Welt kommen: Dinge kommen, und Dinge dürfen auch wieder gehen.

Tipp: Kalorientracker-App

Was mir noch hilft, um wieder Kontrolle zu erlangen: Ich nutze eine Kalorientracker-App, die wie ein Konto funktioniert. Nach der Erfassung deiner Daten und deiner Ziele, spuckt das System eine tägliche Kalorienanzahl aus, die du nicht überschreiten solltest. Tust du es doch, wird das vermutlich langfristig zu einer weiteren Zunahme führen. Bleibst du drunter, zu einer Abnahme. Du kannst Kalorien „freispielen“, indem du dein Training erfasst. Schwierig finde ich die genaue Erfassung der Kalorien. Ich wiege nicht alles ab und kann somit nur schätzen. Trotzdem gibt es mir einen Anhaltspunkt, wie viel noch auf meinem täglichen Konto zur Verfügung steht.

Good to know: „Du bist, was du isst“.

Mit deiner Nahrungsaufnahme kannst du um einiges mehr am Gewicht bewirken als mit Sport. Sie spielt die zentrale Rolle wenn es um das Thema „Abnehmen“ geht. Sport kann unterstützen und dir helfen, dein Gewicht langfristig zu halten. Gerade Kraftsport heizt den Ofen für die künftige Kalorienverbrennung richtig an. Machst du viel Sport und achtest nicht auf deine Ernährung, könnte die Mühe fast umsonst sein.

Kennst du den „Seelen-Hunger“? Wie gehst du damit um? Und hast du Tipps und Tricks, die du mit mir teilen möchtest? Schreibe gerne einen Kommentar.

Danke fürs Lesen

Deine Nicole

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