Rudel-los.
Vom 700-Mann-Arbeitsrudel zum Einzelkämpfer. Genau das wollte ich immer. Alleine, in Ruhe, selbstbestimmt. Niemand, der mich verurteilt. Niemand, der mir „schadet“. Und doch wünsche ich mir manchmal, es wäre wieder so. Ich würde wieder dazugehören. Man würde mich nach dem Wochenende fragen, Kuchen zum Geburtstag anbieten, absolut überflüssige Fragen stellen. „Wie speichere ich eine PDF-Datei aus einer E-Mail“ gehört zu meinen persönlichen Top 3!
Halt im Sport.
In meinen Träumen habe ich abermals Frieden geschlossen. Aber es war so prägend, dass es mich noch nicht loslassen mag. Ich gehöre nicht mehr dazu. Werde ich nie wieder.
Laufen, laufen, laufen.
Weg von allem, weg von meinen Gedanken. In der Stille schleichen sie sich hoch und ergreifen Besitz. Ich schalte das Laufband schneller, bis zur völligen Erschöpfung. Sichtlich gelöst und mit einem Grinsen auf den Lippen desinfiziere ich die Haltegriffe. Dabei lausche ich einigen Rentnern, die mit 3 km/h auf dem Band ihre Dorfgeschichten austauschen. „Hast du schon mitbekommen, dass XY sich das Bein verstaucht hat“ oder „jetzt muss ich aber aufs Klo bevor mir was auskommt“. Schnellen Schrittes huscht die Dame davon (das war wohl knapp!).
Raum für Austausch.
Auch Rentner sind (bestimmt oft) einsam und suchen Anschluss. Na klar, auch bei ihnen ist der Arbeitsplatz mehr oder weniger plötzlich Geschichte. Setzt du den ersten Fuß aus deiner Firma raus, bist auch schon ein Stück weit vergessen. Ersetzt. Kein Hahn kräht mehr nach dir. Am meisten erinnert man sich an dein Abschiedsbuffet, dass du großzügigerweise spendiert hast. „Weißt du noch, der Leberkäse von …“ wird alles sein, was nachhallt.
Bunte Stirnbänder – Ein Muss!
Ich gehe weiter zur Kraftfläche, wo sich dasselbe Bild zeigt: Fröhliche ältere Damen, mit 1 kg Hanteln schwer bewaffnet. Das rosa Stirnband unter den toupierten Haaren passt perfekt zur knallpinken Leggins. Schweißperlen laufen über das Gesicht. Die Frisur sitzt. Ein Hauch Glitzer-Lippenstift komplementiert ein Bild aus vielen Vorurteilen. Unglaublich liebenswürdig! Wann auch sonst schick machen. Scheint, als wäre ich die einzige, die (ernsthaft) zum trainieren hier ist.
DAZU-gehören
Zeit, meine Flasche mit Wasser aufzufüllen. Dabei komme ich – wen wunderts – am voll besetzten „Kaffeehotspot“ vorbei. Hier werden aus zwei, drei Rentnern mehr als eine Handvoll. Rudelbildung. Die dritte Runde Kaffee steht auf dem Tisch und es wird sich amüsiert. Die Stimmung ist ausgelassen. Sie scheinen sich an mich „junges Gemüse“ gewohnt zu haben und grüßen freundlich.
So nett auch diese Szene (deshalb muss ich sie noch schnell erzählen): Zwei flotte Damen winken mir durch die Glasscheibe. Sie sind fertig mit „trainieren“ und verabschieden sich, als sie schon das Fitnessstudio verlassen haben. Goldig! Ich grinse und winke eifrig zurück. Mir geht das Herz auf. Meine Mädels! Als ich letztens bei einem neuen Vormittags-Kurs dabei war, meinte eine von den beiden „du musst keine Angst haben Liebes, wir sind ja da“. Was für ein schönes Gefühl, so herzlich aufgenommen zu werden und ein bisschen dazuzugehören!
Versteht mich nicht falsch, ich will mich über die Gemeinschaft in unserem Fitnessstudio nicht lustig machen. Es ist für mich jedes Mal aufs neue ein süßer Anblick. Wenn ich jenseits der 70 noch so fit und kontaktfreudig bin, mache ich drei Kreuzzeichen. Also Respekt an alle, die etwas für ihren Körper und die Seele tun!
Erst die Arbeit, dann …
… die SAUNA!
Nach 2 Stunden Training bin ich mehr als durchgeschwitzt. Duschen und dann ab in die wohltuende Wärme. Natürlich bin ich nicht alleine. Auch hier ein nettes Grüßen. Eine Dame macht freundlicherweise Platz, damit ich mich hinlegen kann. Und hier das erste Mal: Stille! Keiner redet. Das scheint man sich von der älteren Generation abschauen zu können: Genießen an den richtigen Stellen im Leben. Augen schließen, alles ausschwitzen und schweigen. Ich lege mich hin und tue genau das. Es ist keine unangenehme Stille, die man krampfhaft beenden möchte. Keine Anspannung. So geht mein Studiobesuch mehr als entspannt zu Ende.
Schüchtern …
… war ich lange, bin ich immer noch. Aber nur situationsbedingt, wenn ich mich klein fühle oder einen schlechten Tag habe. Gehe ich abends in die Sauna, werde ich fast immer in ein Gespräch verwickelt. Noch nie zuvor bin ich so leicht mit Menschen in Kontakt gekommen. Der Einstieg ist ganz einfach und könnte in etwa so lauten:
„Stört es dich wenn ich einen Aufguss mache“ oder „Wie sind die Saunazeiten gleich nochmal, weißt du das zufällig?“ oder „Dich habe ich hier noch nie gesehen, bist du neu im Studio“?.
Aus kurzweiligen Gesprächen entwickeln sich die unterschiedlichsten Themen.
Und so zieht sich das dann oft mal über 3 Sauna-Gänge hin. Danach weiß ich, wo meine neue Bekanntschaft herkommt, was sie beruflich macht und wie lange sie schon im Studio trainiert. Das geht von der Patchwork-Familie über Thailandreisen, die Karriere der Kinder und den MSCI World. Ich liebe Menschen. Und ich liebe ihre Geschichten. Hin und wieder geht es auch noch darüber hinaus und es wird viel gelacht. Das genieße ich am meisten.
Lachen nimmt uns so viel Last von den Schultern!
„Stört es dich nicht …
NACKT zu sein? Wie sitzt du eigentlich in der Sauna?“
hatte mich letztens eine Freundin gefragt. „Im Schneidersitz“ antworte ich ihr und ernte ein empörtes Gesicht. „Echt jetzt? Ich würde verdecken was geht.“ Meine Freundin gehört zur Fraktion „Textilsauna“. Da war ich auch lange. Aber mittlerweile: Habe ich kein Problem mehr damit, nackt zu sein. Auch nicht, wenn 5 Männer mit mir in der Sauna sitzen. Es ist mehr als natürlich. Keiner (oder kaum jemand) starrt. Ich merke nicht mal, dass ich nackt bin. Keine Sekunde Scham. Unvorstellbar für dich? Probiers doch mal aus ;-). Übung macht auch hier den Meister. Du wirst es mit der Zeit nicht mehr missen wollen.
Und Manuel???
Hat mit mir auch die Seite zur „Nackt-Sauna“ gewechselt.
Anfangs konnte er es sich nicht vorstellen, so vollkommen nackt herumzulaufen. Aber nach einem Tag Erding war er „abgehärtet“. „Oh die Aufgüsse waren sooo toll, wann machen wir das wieder“ – pure Begeisterung – Gott sei Dank! Wir haben seither den Sauna-Sonntag eingeführt, den wir, wenn immer möglich, nicht ausfallen lassen. Es ist unsere Paar-Zeit.
Das richtige Biotop.
Es gibt viele Möglichkeiten, Anschluss zu finden.
Neben der Sauna, Sportkursen und dem Internet lassen sich unzählige Möglichkeiten finden. Man muss nur wissen, wie. Wir haben ein eher ungewöhnliches Mindest. Das macht es nicht immer leicht. Wir ecken an. Aber je mehr du deine Überzeugungen und Ansichten nach außen trägst, desto größer die Chance Gleichgesinnte anzuziehen. Und so haben sich ganz neue Freund- und Bekanntschaften im Laufe der Zeit ergeben. Manche virtuell, manche im echten Leben, manche durch lustige Zufälle (wobei ich ja nicht an Zufälle glaube). Menschen verändern sich. Du veränderst dich. Wieso sollten alle deine Freunde ein Leben lang zu dir passen? Wieso sollte dein Arbeitsplatz und deine Kollegen für 40 Jahre zu dir passen?
Meine Binsenweiseheit: Lebe in deinem Biotop. Alles andere raubt dir Energie.
Aber es ist und bleibt deutlich schwerer, als es in der Schule oder Arbeit war. Über was redest du in der Schule? Über die Schule. Und in der Arbeit? Über die Arbeit. Die primäre Gemeinsamkeit ist erstmal gegeben. Schön, wenn sich noch was anderes dazugesellt. Muss es aber nicht.
DANKE an unsere Wegbegleiter
Ich danke allen, die uns begleiten. Die uns nicht verurteilen.
Durch euch habe ich die letzten Monate neuen Mut fassen können. Ich bin gerne Einzelkämpfer. Aber brauche auch ein Stück weit mein kleines Rudel.
DANKE auch fürs Lesen
Deine Nicole
PS: Ein Update zur Reisevorbereitung kommt demnächst!